Bunker in Urft – Ausweichsitz der Landesregierung Nordrhein-Westfalen

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Der Weg in die atomare Apokalypse führt durch ein braunes Garagentor.

Dahinter liegt der Eingang zum ehemals größten Geheimprojekt Nordrhein-Westfalens: dem Atombunker der Landesregierung. Im Ernstfall hätte sich der Ministerpräsident hinter den stabilen Stahltüren des etwa 1000 Quadratmeter großen Komplexes am Rande des Eifel-Örtchens Urft verschanzt.

Für die meisten Menschen an Rhein und Ruhr hätte es zu diesem Zeitpunkt bereits sehr düster ausgesehen. Schätzungen gingen davon aus, dass 80 Prozent aller Bewohner in Großstädten und Ballungsräumen wie dem Ruhrgebiet bei einem sowjetischen Atomwaffenangriff sterben würden. Von der Eifel-Festung mit den fünf Meter dicken Betonmauern aus sollte gerettet werden, was von Nordrhein-Westfalen in einem dritten Weltkrieg übrig blieb.

Wohin trägt der Wind den nuklearen Fallout der Atombomben, die Dortmund und Düsseldorf, Bonn und Bochum von der Landkarte getilgt haben? Was geschieht mit den Millionen Überlebenden, die in Panik vor den anrückenden Panzern des Warschauer Paktes nach Westen fliehen? Wie verhindert man den kompletten Zusammenbruch des Wirtschaftslebens?

Zum Glück mussten die etwa 200 Experten um den Ministerpräsidenten, die im Ernstfall im Ausweichsitz der Landesregierung ausgeharrt hätten, diese Fragen nie tatsächlich beantworten. 1993 wurde der Bunker geschlossen, ohne dass auch nur ein Ministerpräsident jemals seinen Fuß in ihn gesetzt hatte. Er war nach dem Ende des Kalten Krieges und dem Zusammenbruch des Ostblocks überflüssig geworden.

Hier könnte die Geschichte des nordrhein-westfälischen Ausweichsitzes auch schon enden. Wäre da nicht eine entscheidende Besonderheit: Denn während viele andere Bunkeranlagen aus dem Kalten Krieg nach ihrer Stilllegung entkernt und ausgeschlachtet worden sind, sieht die Anlage in der Eifel heute immer noch fast so aus wie am ersten Tag ihrer Inbetriebnahme. 16 Jahre schlief sie einen Dornröschenschlaf. Nun öffnete der ehemalige Notregierungssitz am 29. März 2009 zum ersten Mal seine Tore für die Öffentlichkeit.

Es sind einzigartige Zeitdokumente, die im Bunker erhalten geblieben sind: Das Fernmeldesystem und die Drehscheiben-Telefone, die beiden massiven Schiffdieselgeneratoren und die Luftfilteranlagen – alles Originalstücke aus den sechziger Jahren, sie alle sind noch funktionstüchtig. Die Belüftungsanlage lief nach der Schließung sogar weiter und sorgte dafür, dass sich weder Pilze noch Schimmel breitmachen konnten. Auch skurrile Fundstücke überstanden die Zeit unbeschadet: So findet sich in den Vorratskammern immer noch Klopapier aus dem Jahr 1966 samt brauner Originalverpackung der Nürnberger Herstellerfirma.

„Die Anlage ist ein einzigartiges Anschauungsobjekt des Kalten Krieges“, erklärt Claus Röhling. Er ist der Herr über die drei in den Berg gegrabenen Stockwerke Endzeitstimmung.

Es ist seinem Schwiegervater, Ernst Braun, zu verdanken, dass die Anlage so gut erhalten ist. Der Elektriker war jahrzehntelang der Verwalter des Bunkers und wohnte auch direkt neben ihm, so dass der Betonbau schließlich fast schon zur Familie gehörte. Nach der Stilllegung pflegte er den Komplex in seiner Freizeit weiter. Der Einsatz des akribischen Technikers Braun legte so den Grundstein für die zweite Karriere des Ausweichsitzes.

Claus Röhling erwarb 1997 den Bunker vom Land Nordrhein-Westfalen und wandelte ihn in den letzten Jahren nach und nach in eine Dokumentationsstätte um. Er hat aus dem Bunker ein faszinierendes und zugleich schauriges Mitmachmuseum gemacht: Hier können Touristen, Geschichtsinteressierte und ganze Schulklassen in die Rolle der Notregierung schlüpfen, sei es am Kartentisch im ABC-Lagezentrum, die Wände bedeckt mit Karten, auf denen der Grad der Verstrahlung einzelner Landstriche festgehalten werden kann, oder in der komplett erhaltenen und voll funktionsfähigen Radiostation des WDR, ein absolutes Unikat, ein Stockwerk tiefer.

Ein Besuch der Anlage wird schnell zur Zeitreise in die Schreckensvision des Kalten Krieges. Im engen Dekontaminationsraum hinter der Eingangsschleuse hängen noch die schweren, dunklen Strahlenschutzanzüge.

Vom Aufnahmeraum aus wäre die Bevölkerung über den Kriegsverlauf informiert worden. Der Ministerpräsident sollte seine Landsleute mit Ansprachen beruhigen, bereits aufgenommene Reportagen aus der Zeit vor dem Krieg sollten ein Gefühl von Normalität erzeugen. Und immer noch liegen messingfarbene Originalbänder mit Musik sendebereit auf der Abspielrolle – der Soundtrack für den Weltuntergang. Röhling drückt ein paar Knöpfe, die Rollen fangen an, sich zu drehen. Aus den Lautsprechern singt Edith Piaf: „Je ne regrette rien“ – ich bereue nichts.

Als 1962 mit dem Bau des Bunkers begonnen wurde, schien der Gedanke, dass das Studio bald seinen Betrieb aufnehmen müsste, gar nicht so abwegig. Der Kalte Krieg befand sich in seiner kritischsten Phase, während der Kubakrise im Oktober desselben Jahres standen die USA und die Sowjetunion am Rande eines Atomkriegs. Auch später kam es immer wieder zu Situationen, in denen der Konflikt hätte eskalieren können. Grund genug, regelmäßig den Ernstfall zu üben. Nach seiner Fertigstellung 1965 bezogen im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden großen Nato-Übungen 30 bis 40 Beamte aus verschiedenen Landesministerien für ein paar Tage den Bunker in der Eifel.

Beliebt waren diese Übungen unter den Regierungsmitarbeitern nicht. Im Atombunker war es nämlich bedrückend eng – vor allem in den Schlafquartieren: Sechs Beamte teilten sich auf acht Quadratmetern ein dreigeschossiges Etagenbett. Jede Schlafkoje war doppelt besetzt, die Männer arbeiteten und schliefen abwechselnd in Schichten. Es gab auch Schlafsäle mit 18 Betten, maximal 350 Menschen konnten im Bunker untergebracht werden. Lediglich die politische Führungsriege um den Ministerpräsidenten hatte das Privileg von Einzelzimmern – mehr aber auch nicht. Der größte Luxusgegenstand des gesamten Komplexes war das zu einer Kommode umwandelbare Bett des Ministerpräsidenten.

Und auch sonst war Komfort Fehlanzeige. Der Lärmpegel war gewaltig: Das Wummern der Dieselgeneratoren, das Klackern der unzähligen Fernschreiber und das ständige Klingeln der Telefone nervte die Bunkerbewohner. Da verwundert es nicht, dass die Übungsteilnehmer trotz Verbot den Bunker verließen. „Abends fand man oft einige von ihnen in der örtlichen Kneipe“, verrät Röhling.

Bei den trüben Aussichten der Übungsszenarien ist das auch nur allzu verständlich: Die variierten zwar, liefen aber stets auf das gleiche schaurige Ergebnis hinaus – die Verwaltung der Apokalypse. Der nordrhein-westfälische Ausweichsitz war dabei nur eines von vielen kleinen Zahnrädern bei den Nato-Übungen, die nach detaillierten Drehbüchern vom riesigen Regierungsbunker der Bundesregierung in Marienthal aus orchestriert wurden. Es gab Standleitungen zwischen dem Kommandostab in Marienthal und allen Ausweichsitzen der Bundesländer, auch dem in der Eifel. Auf dem Höhepunkt der fiktiven Krise glühten die Drähte, wurden im Minutentakt geheime Meldungen zwischen den Ersatzregierungssitzen hin- und hergeschickt.

Mit der Realität hatten diese Übungen trotzdem nicht viel zu tun, meint Jörg Diester von der Dokumentationsstätte des Regierungsbunkers Marienthal: „Das fing schon bei den so genannten Ausweichsitzen der Länder an.“ Eigentlich hatte die Bundesregierung 1957 alle Bundesländer angewiesen, sich Atombunker zuzulegen. Doch daran hätten sich einige nicht gehalten. Bunkerbau war nämlich eine kostspielige Angelegenheit.

Nordrhein-Westfalen musste für seine Anlage zehn Millionen Mark berappen und jährlich eine Million Mark in die Wartung und den Betrieb stecken. Zu viel für den Geschmack einiger Regierungen, so Diester: „Saarbrücken etwa baute seinen Ausweichsitz nie fertig. Die saarländischen Teilnehmer blieben bei den Übungen einfach in der normalen Staatskanzlei“, erzählt der Bunker-Experte. „Und Schleswig-Holsteins Anlage war nicht viel mehr als ein ausgebauter Keller.“

Nordrhein-Westfalen war da noch vorbildlich. Seine Trutzburg in der Eifel war so konzipiert worden, dass sie einen Volltreffer durch eine Bombe mit der Explosionskraft von einer Tonne Sprengstoff ausgehalten hätte. Auch einen indirekten Treffer einer rund 15 Kilotonnen starken Hiroshima-Atombombe hätte der Bunker überstanden. Schön und gut – und doch viel zu wenig. Schon beim Baubeginn in der Eifel stapelten sich in den Arsenalen der Supermächte Nuklearwaffen, deren Zerstörungskraft jegliche Vorstellung überstieg. 1961 testeten die Sowjets ihre Superbombe „Zar“, die gewaltigste Bombe der Menschheitsgeschichte: Ihre Explosion war mit umgerechnet 60.000 Kilotonnen TNT 4.000 Mal stärker als die der Atombombe von Hiroshima.

Dennoch übten die deutschen Regierungen fleißig weiter, Jahr für Jahr. Die Bunker wirkten wie Placebos im Schatten des nuklearen Damoklesschwerts, meint Diester: Ihre dicken Mauern und ihre Filteranlagen, die den tödlichen nuklearen Fallout draußen hielten, suggerierten Sicherheit, wo auf lange Sicht keine war. „Bunker im Atomkrieg sind wie U-Boote: Irgendwann sind alle Nahrungsmittel und Treibstoffvorräte für den Generator aufgebraucht und dann müssen die Überlebenden doch nach draußen in die verstrahlte Umwelt.“

Die Planspiele hatten vor allem einen wichtigen pädagogischen Effekt. „Die Politiker, die einmal das Weltkriegsszenario bis zum bitteren Ende durchgemacht haben, bekamen die Folgen ihrer Handlungen aus nächster Nähe gezeigt“, sagt Diester. Dabei sei eines vielen Teilnehmern klar geworden: „Es muss das größte Ziel aller Regierungen sein, alles zu tun, um den Atombunker nie betreten zu müssen.“

Anmeldungen zu Führungen und Informationen zur Anlage unter:

                                           www.ausweichsitz-nrw.de